Das Leben eines Menschen — wie sein gesamter Daseinszyklus, von dem das Erdenleben und der Menschenzustand nur Inhalte sind — ist im göttlichen Intellekt als ein umgrenztes Ganzes enthalten, das heißt als eine festgelegte Möglichkeit, die ist, was sie eben ist, und folglich in keinem ihrer Anblicke aufhören kann, sie selbst zu sein. Denn eine Daseinsmöglichkeit ist in einer gewissen Beziehung nichts anderes als ein Ausdruck der unbedingten Notwendigkeit des Seins, und daher rührt ihre äußere Einheit und innere Folgerichtigkeit: Die Daseinsmöglichkeit ist etwas, was nicht “nicht sein” kann.

Die Aussage, dass ein ichhafter Kreislauf, ein seelisch-körperlicher Daseinszyklus, als endgültige Formel im göttlichen Intellekt eingeschlossen ist, läuft darauf hinaus, dass eine Möglichkeit von der Allmöglichkeit umfasst wird, und diese Wahrheit bietet die entscheidende Antwort auf die Frage der Vorbestimmung: Der menschliche Wille erscheint dann als ein Ablauf, der im Modus des Nacheinanders die notwendige Verkettung der Teilanblicke seiner gesamten, wesentlichen Möglichkeit verwirklicht; so wird diese Möglichkeit sinnbildlich umschrieben oder wiederholt. Auf ähnliche Weise drückt die Verkettung der Organe den menschlichen Leib aus; auch dieser ist als Ganzheit und Einheit weder teilbar noch austauschbar.

Man kann auch Folgendes sagen: Da die Möglichkeit eines Wesens notwendigerweise eine Daseinsmöglichkeit ist, ansonsten sie sich nicht kundgäbe —denn es gibt noch andere, nur im reinen Sein liegende Möglichkeiten —, so ist der zyklische Ablauf dieses Wesens nichts anderes als die Gesamtheit der unzählbaren Teilanblicke, die in der Kundgebung des Wesens und somit in seiner Möglichkeit liegen. Das Wesen tut nun mit Hilfe seines Willens nichts anderes, als seine kosmische, an sich “gleichzeitige” — weil unteilbare — Kundgebung in Form einer Reihenfolge auszuwirken. Das Ichwesen zeichnet auf zergliedernde Art und Weise seine einheitliche Grundmöglichkeit nach; diese hat ihre endgültige, weil notwendige Rangstufe in der Stufenfolge der kosmischen Möglichkeiten, und die Notwendigkeit einer jeden gründet sich metaphysisch, wie wir gesehen haben, auf die unbedingte Notwendigkeit der Allmöglichkeit, die sich aus der Unendlichkeit Gottes ergibt.


Frithjof Schuon, Von der inneren Einheit der Religionen, H. J. Maurer, 2007, s. 93-94.

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